Gefängnis, Strafrecht und Polizei sind nach Steinert ideologische Apparate mit einem vermeintlichen Nützlichkeitsversprechen: Sie suggerieren eine „Service-Funktion“ zur Bewältigung von Problemen und Konflikten, versprechen Schutz vor „Kriminellen“ und der Furcht vor ihnen und verleugnen damit ihre Herrschaftsfunktion. Es gehöre „zur Eleganz dieses Herrschaftsinstrumentes, dass es von den Herrschaftsunterworfenen selbst mobilisiert wird“, womit sich die Gelegenheit ergebe, den Herrschaftsanspruch zu verdeutlichen. Die Behandlung von Problemen als Frage von „Kriminalität“ und das Abstrafen von als kriminell etikettierten Personen tragen jedoch nichts oder nur marginal zur Bewältigung der entstandenen Schwierigkeiten bei, können Personen in Wirklichkeit nicht schützen und sind für die Betroffenen auch von nur sehr begrenzter Nützlichkeit. Nicht zu funktionieren sei dabei ein Teil der Funktion des Strafrechts, da dies symbolische Politik ermögliche – „eine Show energischen staatlichen Handelns, das aber keine wichtigen gesellschaftlichen Interessen berührt und nur vereinzelt Leute ohne sozialen Rückhalt ausstößt“. Das Strafsystem sei somit als „ideologischer Staatsapparat zu fassen, der Menschenopfer für seine Demonstration verwendet“. Abolitionismus als heuristisches Prinzip und theoretisches Unternehmen müsse daher die „Möglichkeiten von Herrschaftsfreiheit (oder wenigstens -armut)“ untersuchen und eine Hegemonie aufbrechen, „der das Strafen und Einsperren selbstverständlich ist“. Als wichtigste Aufgabe definiert Steinert dabei die Ermöglichung einer sinnvolleren Sicht auf Probleme, die unter „Kriminalität“ abgehandelt und sich mit dieser Etikettierung den Problemdefinitionen und Lösungen der staatlichen Apparate unterwirft. „Es geht nicht um bessere Gesetze, sondern um die Möglichkeit, Schwierigkeiten und Konflikte anzugehen, ohne von Herrschaft und ihren vorgefertigten Lösungen, die hingenommen werden müssen, beschränkt zu werden.“
Um mehr als eine „Wohltätigkeitsbewegung“ zu sein, müsse sich der Abolitionismus nach Steinert radikal der Frage der Bestrafung zuwenden: „Ist es vorstellbar, daß jemand rechtmäßig von einem anderen bestraft werden kann, d.h. als eine Gelegenheit zur Demonstration von Herrschaft benutzt wird?“
Welche autonomen Formen der Problem- und Konfliktbearbeitung abseits strafrechtlicher Zurichtung haben sich bewährt und wie können diese weiterentwickelt werden? Inwiefern realisieren sich hier Formen „guter Herrschaft“, inwiefern Modelle der Befreiung?
Kann es in der „versicherheitlichten“ Gesellschaft überhaupt noch um Straf- und Gefängnisabolitionismus gehen? Inwiefern gehen mit dem Abschied vom Gefängnis als Strafsanktion Sicherheitsmaßnahmen einher, die Freiheitsentzug ohne Mauern herrschaftswirksam an seine Stelle setzen?
Panel:
Arno Pilgram: Strafrecht, Gefängnis und Polizei als Herrschaftsinstrument (Eingangsstatement)
Christa Pelikan: Spuren und Fluchtlinien des Abolitionismus in der internationalen Auseinandersetzung mit Restorative Justice
Rehzi Malzahn: Abtauchen in vernakuläre Räume. Herrschaftskritik und Alternativen in Zeiten ihrer Vereinnahmung
Sonja John: Ein weiterer guter Grund für Gefängnisabolitionismus: ‚Suizid‘ in Haft
Moderation: Monika Mokre